Klassische Homöopathie
und der Patient sein Leid,
wenn Himmel und Hölle sich berühren,
wenn das Herz sich öffnet
und Wärme frei wird,
wenn lächelnd
Schwäche eingestanden werden darf
– in jenen Momenten geschieht Heilung.
Foto© Felicia-Ann Hubrich, Englischer Garten 2005
Sollten Sie bereits einmal in Klassisch Homöopathischer Behandlung gewesen sein, sind Ihnen die zum Teil außergewöhnlichen und höchst verwunderlich erscheinenden Fragen des Therapeuten vielleicht bereits bekannt. Er wird bohren und nachfragen, um wie viel Uhr es auf welcher Seite schlechter ist, ob der Schmerz stechend, pochend, klopfend, schneidend, kribbelnd oder pulsierend ist. So sammelt der Homöopath sich sein Bild zusammen, nimmt Repetitorium und Materia medica zur Hilfe und vielleicht kommt er beim Symptom eines älteren Patienten mit „Jucken der Haut“ auf das seltene und unwesentlich lange Leitsymptom: „Jucken – im Alter – wo am meisten runzelig – mit Ameisenlaufen“ oder: „Jucken – in Wärme – mit Schmerz bei Kälte“. Für beide Symptome wird er höchstwahrscheinlich das Mittel Mezerum wählen, nachdem er sich noch eine weitere Stunde von bestätigenden Symptomen überzeugt hat. Sollten Sie generell empfindlich gegen kalte Luft sein und sich auch Ihr Mittelohr anfühlt, als ob es der kalten Luft ausgesetzt sei und diese Ihnen in die Ohren blase und Sie am liebsten Ihre Finger in die Ohren bohren würden um Erleichterung zu erfahren – wird der Homöopath sich seiner Verschreibung relativ sicher sein.
wenn der Druck auf der seelischen und emotionalen Ebene nachgelassen hat,
weil die Kompensation nicht mehr notwendig ist,
an die man sich gewöhnt hat.
Doch was, wenn das Mittel nicht anschlägt? Wenn es nicht der richtige Schlüssel zu dem Schloß Ihres immanenten Kerns war, der Quelle, dem Genius?
Ich spürte, dass es etwas anderes geben muss. Eine andere Methode der Befragung, um an das Wesentliche zu gelangen. Etwas, das sich durch alles durchzieht und nicht nur das Symptom beschreibt. Und die Reise des Verständnisses um dieses Gefühl führte mich über viele Meister der Homöopathie.
nicht den Patienten!
Wir sollten unser Können beherrschen,
aber nicht den, der zu uns kommt, damit wir ihm helfen.
Helfen können wir ihm nur dann,
wenn wir auch unser Herz mitsprechen lassen.
Willibald Gawlik1
Mich haben die zum Teil tief unbefriedigenden Ergebnisse traditioneller Mittelwahlen nach klassischer Lehre im Laufe der Jahre zur Homöopathie des Indischen Homöopathen Rajan Sankaran2 geführt. Sankaran hält sich streng an die klassischen Lehren und wie kaum ein anderer beherrscht er Repetitorien, Arzneimittelprüfungen wie auch die Materia Medica.
Die Abwesenheit von Büchern auf einem Schreibtisch
mag in manch anderen Berufen Erfahrung und großes Wissen anzeigen.
Bei einem Homöopathen jedoch beweist dies nur Ignoranz.
(George Vithoulkas3, Vorwort Repertorium Synthesis)
Nur dieses Wissen erlaubte Rajan Sankaran unter Einhaltung der Lehre des Begründers der Homöopathie, Samuel Hahnemann , die Möglichkeiten des Verständnisses um den Fall und die Art der Anamneseführung zu revolutionieren, um noch tiefer an den Genius des Falls zu gelangen.
Dieser „Genius“ wurde bereits von C.M. Boger beschrieben, hier ein Stück aus seinem Vorwort zum „Synoptic key5“:
Rajan Sankaran ist Begründer der Homöopathie nach der Vital-Empfindung, als Schnittstelle zwischen Geist, Körper und Ausgangssubstanz. Diese Vital-Empfindung beinhaltet nicht nur die verbale Beschreibung einer Beschwerde, sondern sie spiegelt eine wesentliche Qualität des Patienten (und somit des homöopathischen Heilmittels) wieder, der sich wie ein roter Faden durch die sowohl geistige, seelische als auch körperliche Ebene durch die Symptomatik des Menschen und seiner Hauptbeschwerde zieht. Durch all das, was die Lebenskraft verstimmt hat und sich nunmehr über Symptome äußert. Über diese Methode ist eine Verbindung zwischen Symptom, System und Genius (Kern) des Falls möglich geworden.
Dr. Jürgen Hansel6hat dies in seinem Artikel zu dem Werk „Das parallele Selbst“ (überarbeitetes Werk von „Das andere Lied“) von R. Sankaran sehr treffend beschrieben:
„Was macht uns alle zu dem, was wir sind? Was lässt jeden von uns auf seine ganz eigene Weise fühlen, wahrnehmen, erleben und handeln? Wo hat der Stress im Leben wirklich seine Ursache?
Mit diesen Fragen hat sich Dr. Rajan Sankaran die letzten 30 Jahre in seiner Praxis beschäftigt und hat dabei interessante Entdeckungen gemacht. So fand er heraus, dass Stress nicht durch die äußeren Gegebenheiten an sich entsteht, sondern wie wir diese wahrnehmen. In der Tiefe unserer Erfahrungswelt sind wir nicht von unserer objektiven Wahrnehmung, sondern von unserem eigenen Empfindungsmuster bestimmt. Dieses „parellele Selbst“ drückt sich in charakteristischer Weise in körperlichen wie auch psychischen Beschwerden aus. So beschreiben wir z. B. eine Beziehung als „erstickend“ oder haben das Gefühl, als ob sich alles zusammenzieht. Dieses typische Muster findet seine Entsprechung in einer Substanz aus einem der drei Naturreiche. So kann ein Mensch, der ein Mittel aus der Schlingpflanzenfamilie braucht, typische zusammenziehende Beschwerden haben. Es ist beinahe so, als würde in jedem von uns ein bestimmtes Tier, eine Pflanze oder ein Mineral leben und unsere gesamte Lebenserfahrung färben. Das parallele Selbst begleitet uns ständig, formt unsere Persönlichkeit, bestimmt unsere Lebensmuster und ist schließlich auch das, was unseren Stress auslöst.“
Die traditionelle Klassische Homöopathie, die hauptsächlich aus Symptomen, Rubriken und Schlüsselsymptomen zum Heilmittel führt ist somit keineswegs überholt, doch überarbeitet. Der Anamneseführung Rajan Sankarans nach der Vital-Empfindung, die sich durch alle Ebenen des Falles zieht, die das Verständnis um Naturreiche, Ebenen und Miasmen enthält, ermöglicht uns heute den Menschen als Ganzes zu erfassen und ihn klarer als nie zuvor an den Ursprung seines homöopathischen Heilmittels zu führen.
Bei dieser Form der Anamneseführung müssen Sie als Patient und ich als Therapeut sich gänzlich verabschieden von dem reinen Symptom, auch wenn die Befragung stets mit der Hauptbeschwerde beginnt. Beide, Sie und ich, müssen aufhören nachzudenken und zu analysieren.
Es ist eine Reise, auf der beiden klar werden wird:
Das Heilmittel das benötigt wird, unterscheidet sich gänzlich von dem, was wir ERWARTET haben.
Ansonsten -sollte der Therapeut interpretieren und denken- wird er dasjenige Mittel verschreiben, welches er selbst benötigt!
Sie sehen also, eine homöopathische Anamnese nach der Vital-Sensation Methode von Rajan Sankaran wird nicht zwingend einfacher, als eine traditionelle klassisch homöopathisch geführte Anamnese. Zwar werde ich Sie sicher nicht fragen, um wie viel Uhr genau der Juckreiz der Kopfhaut bei kaltem Wind sich stechend oder doch eher pulsierend bemerkbar macht, allerdings werde ich Sie wiederholt fragen: „Was erleben Sie dabei. Was für eine Empfindung ist das, wenn Sie davon erzählen. Beschreiben Sie mir die Geste, die Sie mir dabei mit Ihren Händen zeigen“.
is the way you experience your life.”
(R.S.)
Und ich werde die gleiche Frage nochmals stellen. Nicht, weil Sie sie nicht gut genug beantwortet hätten, sondern weil ich es noch nicht gut genug verstanden habe. Den Kern noch nicht verstanden habe. Ihr inneres Lied. Den Genius, der sich durch alles far beyond der Symptome zieht.
to find the remedy
It is
to understand the case.
R.S. 5´2004 München
Mein Dank gilt an dieser Stelle Rajan Sankaran und seiner Lehre.
Ebenso wie allen seinen Helfern, die ihn gefördert haben durch ihre Unterstützung in der Anwendung und Erforschung und Belegung dieser Methode.
Besonders erwähnen möchte ich dabei Jayesh Shah7.
Auch Dr. Prasad S. Shetye und Dr. Falguni K. Khariwala, Mumbai India, mit ihrem wundervollen Bekenntnis:
a cured disease comes as part and parcel of that healing.
We don’t have to be judgmental about our patients
as they act in accordance with the state
that they have inherited or imbibed.
It is not in “con-fronting” but in “care-fronting” the patient
that we will be true healers.
For then our patients will open up those compartments
that they have kept locked in their attics.
We have found that unconditional love
always opens people to express their innermost feelings
and through their expressions
we reach to the state in which each is stuck.”
Ich danke auch Farokh Master8
und dem Geschenk, sein wunderbares Werk über “Lacs in Homoeopathy” (Milchmittel in der Homöopathie, 09.05.2004 Narajana Verlag) übersetzen zu dürfen.
An dieser Stelle sei auch Jan Scholten9 erwähnt, dessen einzigartige und alleinige Arbeit zum Mineralreich und dem Periodensystem der Elemente zum Verständnis des Mineralreiches nicht nur beigetragen, sondern dies als Erster entwickelt hat.
Ich danke Rajan Sankaran,
der alles zusammengefügt hat und dessen Tun mich jeden Tag begleitet:
of a successfully treated case
is the main reward for such work”.
Rajan Sankaran
1Willibald Gawlik (* 1919; † 2003); deutscher klassischer Homöopath und Fachbuchautor.
2Dr. Rajan Sankaran M.D. (Hom.), (* 24. Mai 1960 in Mumbai, Maharashtra) – indischer Homöopath.
3Georgos Vithoulkas, *1932 in Athen, griechischer Homöopath
4Christian Friedrich Samuel Hahnemann, (*10. April 1755, Meißen; † 2. Juli 1843, Paris)
war ein deutscher Arzt, medizinischer Schriftsteller und Übersetzer und Begründer der Homöopathie.
5Cyrus Maxwell Boger, amerikanische Homöpath (*1861 bis 1935):
C.M. Boger: „Synoptic Key zur homöopathischen Materia medica“
6Dr. med. Jürgen Hansel, Arzt für Homöopathie und Akupunktur in München Harlaching, in „Spektrum der Homöopathie 2009“ 7Dr. Jayesh Shah begründete mit seinem Freund Dr. Rajan Sankaran und mit mehreren Kollegen die „Bombay Schule“
der klassischen Homöopathie. «Das Bewusstsein jenseits unserer Gedanken und jenseits von Zeit und Raum
ist tiefgründig und in vieler Hinsicht sehr heilend».
8Dr. Farokh Master M.D. (Hom.), Indischer Homöopath, Mumbai
9Jan Scholten, *23.12.1951 in Utrecht Netherlands. Medicine, Chemistry, Philosophy. Medical Doctor in Homeopathy,
Researcher, Writer
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Foto© Felicia-Ann Hubrich, München 2008